Geschichten

Mein Meer
Die Geschichte vom einsamen Wanderer
Wissen wo’s lang geht
Wünsch dir was




 

Mein Meer

Die französische Schriftstellerin Benoite Groult hat in ihren Büchern sehr eingehend ihre große Liebe zum Meer beschrieben. Keine künstlich gezüchtete Begeisterung, nur echte tiefe Verbundenheit mit einer Landschaft, die sie schon von klein auf kannte. Sie darf das Meer ihre Heimat, ihr Zuhause nennen, ist schon mit ihren Kinderfüßchen im salzigen Nass der Bretagne herumgestapft.

Ich bin in Berlin geboren und in Bayern aufgewachsen. Also weit und breit nichts Berauschenderes als der Wannsee und diverse hübsche bayerische Gewässer. Aber auch in einem Teil meiner glücklichen Kindheitserinnerungen schwappen Wellen, spritzt die Gischt! Meine Familie war schon immer recht reiselustig. Wir rumpelten mit unserem VW-Bus über die damals noch größtenteils unbefestigten Alpenstraßen. Wer das erste Zipfelchen Blau in der Ferne erspähte, brüllten mit triumphierender Begeisterung: „Das Meer! Ich kann das Meer sehen!“ Und wenn es dann näher rückte, mit jedem Kilometer greifbarer, wirklicher wurde – was war das doch für ein herrliches Gefühl! Dann kam das spannende Platzsuchen, die lästige Auspackerei und langwieriges Helfen beim Zeltaufbau. Nach unserem nervtötenden Betteln und Quengeln durften wir Kinder dann endlich die Badesachen rauskramen. Nie bin ich als Kind so wie jetzt ans Meer herangegangen: Behutsam, fast ehrfürchtig, vorsichtig die Zehe ins Wasser tauchend, brrr – ist das kalt! Nein, ich bin gestürmt, mit ausgebreiteten Armen, hab‘ mich mit aller Kraft ins Wasser gestürzt. Bin gehüpft, gesprungen, untergetaucht, wieder aufgetaucht, prustend und strahlend! Mein Meer hatte mich wieder!

Später fing ich im Reisebüro zu arbeiten an. Flog hierhin, fuhr dorthin, machte fünfmal im Jahr Urlaub. Das Reisen verlor mit den Jahren manchmal an Faszination, das Meer nie. Dann kam die Flaute. Mutterglück, Hausfrauenpech, lange Zeit kein Geld für Urlaub. Und Sehnsucht, eine Riesensehnsucht nach vergangenen Zeiten. Ach was Kinderträume, Jugendschäume. Das Meer ist verdreckt, die Fische sind krank und überhaupt schadet zuviel Sonne der Haut! Gute Argumente, aber mit geschlossenen Augen schleicht es sich hartnäckig in meine Gedanken. Ich sitze nachts an einem leeren Strand und lausche dem sanften Schlagen der silbrig glänzenden, Sand leckenden Wasserzungen. Oder es ist früher Morgen, ein frischer Wind kommt auf und hohe Brecher, wild und ungezähmt, zerbersten am Felsen. Musik der Unendlichkeit! Meine intensive Vorstellungskraft versetzt mich schmerzhaft wirklich an das Ziel meiner Träume, ich spüre ein Ziehen in der Magengegend.

Warum auch immer, Sentimentalität aus Kindertagen oder früheres Leben als Ölsardine, jedenfalls fühle ich mich am Meer zu Hause. Ich hab‘ ihn nicht verbrieft, diesen Anspruch, weder in der Geburtsurkunde noch im Reisepass. Aber wir zwei, das Meer und ich, wir wissen von unserer Verwandtschaft!

(Copyright: Barbara Forster)

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Die Geschichte vom einsamen Wanderer

Es gibt eine Gegend, da ist es immer kalt und ungemütlich, ständig ist ein dumpfes Donnergrollen zu hören, der dieser Einöde auch ihren Namen gegeben hat – das Grollgebirge. Hier hatte sich vor vielen Jahren ein Wanderer verlaufen. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, ja sogar Jahr um Jahr war er einsam und ziellos in dieser schrecklichen Umgebung umhergeirrt. Sein Gemüt hatte sich der Umgebung angepasst und auch in ihm rumorte ein ständiges inneres Grollen. Er grollte einfach gegen alles – er grollte gegen den Regen und er grollte gegen den Wind, er grollte sogar, wenn sich die Sonne zeigte und den Tag erwärmte. Er grollte gegen die Berge und er grollte gegen die Täler. Und obwohl er es vor Einsamkeit kaum aushielt, grollte er auch gegen jeden Menschen, der ihm auf seinem Weg begegnete. Das sprach sich sehr schnell herum und schließlich traf er überhaupt niemanden mehr, weil jeder einen großen Bogen um ihn machte. Aber ganz besonders grollte er gegen sich selbst. Seine lange Wanderung hatte ihn immer müder werden lassen und er war das Opfer seiner vielen Ängste, seines großen Schmerzes und seines grenzenlosen Selbstmitleids geworden. Und als ob das alles noch nicht reichen würde, schleppte er als zusätzliche Bürde ständig einen schweren Rucksack mit sich herum. In all’ den Jahren der trostlosen Wanderschaft war er jedoch noch kein einziges Mal auf die Idee gekommen, sein Gepäck abzunehmen. Die Stimmung des Wanderers war sowieso schon sehr gedrückt, aber die Last seines Rucksacks drückte auch noch seinen Körper nieder. Kein Wunder, dass ihm jeder Schritt so unendlich schwer fiel und er fast immer an den gleichen Stellen im Kreis herumlief. Immer wieder musste er sich setzten und von den Strapazen ausruhen. Ständig hatte er ein grimmiges Hungergefühl im Bauch, denn der Speiseplan in dem unwirtlichen Gebirge war nicht sehr üppig. Er ernährte sich nur von wilden Kräutern, Beeren und Früchten. Die körperliche Anstrengung und der ewige Hunger hinderten ihn daran zu erkennen, dass im Grollgebirge wunderbare Dinge verborgen waren. So nahm er nicht die Schönheit des kristallklaren Gebirgsbaches wahr, auch wenn er täglich daraus trank. Das Zwitschern der Vögel konnte er nicht hören, weil er sich nur auf das ferne Donnergrollen konzentrierte. Niemals bemerkte er den wunderbaren Regenbogen, der sich täglich über das Gebirge erhob, er sah immer nur die Regentropfen, die diesem Naturschauspiel vorausgingen. Es gab auch viele Tiere, die dem Wanderer in seiner Einsamkeit gerne Gesellschaft geleistet hätten, aber er hielt so sehr Ausschau nach anderen Menschen, dass er von keinem der tierischen Gebirgsbewohner Notiz nahm.

Trotzdem beschloss eines Tages eine kleine kecke Maus, sein trauriges Dasein umzukrempeln. Sie hatte den Wanderer schon seit geraumer Zeit beobachtet und empfand großes Mitgefühl für ihn. Als sich der einsame Mann nach einem langen Marsch auf einen Felsen niederließ, um sein kärgliches Mal einzunehmen, wartete die Maus schon auf ihn. Sie hatte sich viel Mühe gegeben und stundenlang Waldbeeren auf ein Häufchen gerollt. Wie nicht anders zu erwarten, bemerkte der traurige Wanderer das Geschenk überhaupt nicht. Frech und furchtlos fing das kleine Tier daher an, an seinem Hosensaum herumzuzupfen. Der Wanderer dachte, dass eine Ameise an seinem Bein herumkrabbelte und schlug mit der Hand gegen seinen Knöchel. Die Maus hatte gerade noch Zeit, sich mit einen kühnen Sprung in Sicherheit zu bringen. Aber jetzt war es mit ihrer Geduld vorbei. „Sag mal, was bist du nur für ein unfreundlicher Geselle.“ empörte sie sich und richtete sich zu ihrer vollen, einer Hand hohen Größe vor ihm auf. „Da will ich dir etwas Gutes tun und du schlägst einfach nach mir.“ Der Wanderer traute seinen Augen und Ohren nicht, als ihm da eine sprechende kleine Maus furchtlos die Meinung sagte. „Oh entschuldige bitte, ich hatte dich gar nicht gesehen. Ich dachte, du wärst eine Ameise.“ „Du scheinst so einiges zu übersehen.“ brummelte die Maus, nun schon etwas versöhnlicher und wies mit ihrer winzigen Schnauze auf das Häufchen mit den Waldbeeren. „Da, die habe ich dir mitgebracht.“ „ Was, für mich …?“ Ungläubig starrte der Mann auf die Früchte. Vor Rührung konnte er ein paar Minuten lang nichts mehr sagen. Dann bedankte er sich überschwänglich und wollte unbedingt wissen, warum so eine kleine Maus ihm, dem großen einsamen Wanderer, eine Freude machen wollte. „Ach weißt du,“ meinte Maus „hier bei uns im Gebirge gibt es zwar viele wunderschöne Dinge, aber für euch Menschen sieht es meistens nur kalt und ungemütlich aus. Da dachte ich mir, wie unglücklich du sein musst, weil du es nicht schaffst, hier herauszukommen und wieder heim zu finden.“ Da fing der Mann das erste Mal seit vielen Jahren zu weinen an. Die Worte der Maus hatten ihn mitten ins Herz getroffen. „Ich weiß doch gar nicht mehr, was daheim ist. So lange schon habe ich den Weg verloren, da hat mich bestimmt jeder vergessen.“ „Papperlapapp, so schnell vergisst man nicht.“ wies ihn die Maus zurecht. „Hör auf zu grübeln und zu jammern, jetzt ist es an der Zeit zu überlegen, wie du wieder nach Hause kommst.“ „Nach Hause …“ seufzte der Wanderer, „nach Hause, ja das wäre schön. Aber es hat trotzdem keinen Sinn, mit meinem schweren Gepäck werde ich das niemals schaffen.“ „Was schleppst du auch für einen riesigen Rucksack mit dir rum, lass diese Ungetüm doch einfach liegen.“ Auf diesen praktischen Vorschlag reagierte der Wanderer mit heller Empörung. „Nein niemals, ich habe mich so an ihn gewöhnt. Ich kann absolut nichts von dem was darin ist hergeben.“ „Ja, was hast du denn da drin?“ wollte die neugierige Maus wissen. „In meinem Rucksack befindet sich alles was ich bin. Hier drin sind alle meine Gefühle, meine Trauer und meine Einsamkeit, meine Angst und meine Scham, meine Wut und mein Neid, mein Misstrauen und meine Selbstzweifel, meine …“ „Halt, halt,“ rief die Maus, „das hört sich ja schrecklich an, hast du denn überhaupt keine angenehmeren Gefühle?“ „Oh das ist lange her. Ich habe die Liebe, die Freude und das Vertrauen herausnehmen müssen, weil ich ja sonst nicht genügend Platz in meinem Rucksack gehabt hätte. Und jetzt sind meine traurigen Gefühle alles, was mir noch geblieben ist. Wenn ich darauf auch noch verzichte, habe ich gar nichts mehr.

Da begriff die Maus, dass es sich bei dem Wanderer um einen ziemlich schweren Fall handelte und sie entschloss sich, ihn ein bisschen zu überlisten. Von nun an besuchte sie ihn jeden Morgen, brachte ein paar leckere Beeren mit und während er sich die Früchte schmecken ließ, knabberte sie keck ein kleines Loch in den Rucksack. Sie wanderten jetzt zusammen und die Maus, die sich ja bestens im Gebirge auskannte, führte ihn auf völlig neue Wege. Als sie einige Zeit gelaufen waren, verspürte der Mann seit langer Zeit zum ersten Mal wieder Vertrauen und Dankbarkeit. Und ohne dass er es merkte, plumpsten - plopp – das Misstrauen und der Neid aus dem Rucksack. Zwar kam ihm sein Gepäck danach ungewohnt leicht vor, aber er tat dies kurzerhand als Einbildung ab. Am nächsten Morgen waren sie schon ein ganzes Stück tiefer in die Ebene gelangt. Die Maus war zu einem treuen Gefährten geworden und unterhielt ihn bestens mit amüsanten Geschichten aus dem Gebirgsleben. Der Mann musste so herzhaft lachen, dass er gar nicht merkte, wie dabei die Trauer aus seinem Rucksack rutschte. Nach einer Weile kamen sie zu einem Felsvorsprung und blickten auf einen herrlichen See herunter. Das Wasser sah sehr verlocken aus. Ohne lange nachzudenken, zog der Wanderer seine Kleider aus und sprang mutig von dem hohen Felsen in die unbekannte Tiefe. Als er erfrischt und glücklich wieder ans Ufer kletterte, war sein Rucksack wieder etwas leichter geworden. Die Angst und der Selbstzweifel hatten dem Mut und der Freude Platz gemacht. So kam es, dass auch sein inneres Grollen aufhörte, er gegen nichts und niemanden mehr schimpfte und schließlich sogar sich selbst richtig gut leiden konnte. Ständig hatte er ein lustiges Lied auf den Lippen und die Maus piepste fröhlich mit. Es ging Stück für Stück bergab, die Wiesen wurden saftiger, die Luft wärmer und der Rucksack immer leichter. Nun konnte dies auch der Wanderer nicht mehr ignorieren und bei der nächsten Rast schnürte er seinen Beutel auf, weil er nachsehen wollte, ob er etwas verloren hätte. Wie groß war seine Überraschung, als er den Rucksack praller denn je, gefüllt mit allerherrlichsten, federleichten Gefühlen vorfand. Nun schien es ihm fast, als würde ihn sein Gepäck schweben lassen und das letzte Stück bis zu seinem Heim sprang und jauchzte er so laut, dass es nur so durch das Tal schallte. So kam es, dass ihn seine Frau und die drei Kinder bereits am Gartentor erwarteten und in die Arme schlossen. Nach langen Jahren der Abwesenheit war er endlich wieder zu Hause. Die Maus verabschiedete sich nach einigen Tagen und lief zurück ins Grollgebirge. Schließlich wollte sie rechtzeitig zur Stelle sein, falls sich dort wieder mal jemand verirren sollte.

Und die Moral von der Geschicht’ ? Übersieh die Maus am Wegrand nicht!

(Copyright: Barbara Forster)

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Wissen wo’s lang geht

Vor einiger Zeit hat sich mein Freund in seinem Geschäftswagen ein Navigationssystem einbauen lassen. Einerseits war ich auf seine Begeisterung für diese sensationelle Neuerung schon vorbereitet, denn ich kenne ja ihn und die eigenartigen technischen Ambitionen der Männer nicht erst seit gestern. Zugegeben, es ist schon faszinierend, was dieses kleine Ding alles kann. Trotzdem wurde ich dann im Laufe der Zeit doch etwas gereizt, als ich nur noch beim Abendessen für zehn Minuten einen Blick auf den Mann an meiner Seite erhaschen konnte und sich sein Gesprächsstoff ausschließlich um diesen Superapparat mit den unglaublichsten Fähigkeiten drehte. Es liegt eindeutig unter meiner Würde, als Partnerin mit irgend so einem technischen Schnick-Schnack zu konkurrieren! Nach und nach wurde ich dann wieder versöhnlicher und ließ mich darauf ein, mir die vielen Tricks und Kniffe genauer erklären zu lassen. Ich fuhr bereitwillig mit ihm in die hintersten Dörfer und in die verwinkelsten Straßen und Gässchen, um immer mehr festzustellen, dass dieses System wirklich über bewunderndswerte Fähigkeiten verfügt. Und eines Morgens, als ich so in der Badewanne lag und über Männer im Allgemeinen und Navigationssysteme im Besonderen nachdachte, wurde mir bewusst, wie sehr dieser elektronische Wegweiser fürs Auto doch einem Anteil von uns Menschen gleicht. Diesen Anteil trägt jeder einzelne von uns in sich, auch wenn das viele nicht wissen oder wahrhaben wollen. Egal wie wir es nennen – ob nun Intuition, Bauchgefühl, innere Führung oder höheres Selbst – gemeint ist immer dasselbe.

Einmal eingebaut, steht das „Navi“ dem Autofahrer immer zur Verfügung, sobald er auf dessen Dienste zurückgreifen möchte. Ob er es nun bei Fahrtbeginn ein- oder ausschaltet, ist stets ihm selbst überlassen. Ebenso werden wir Menschen alle mit einem sicheren Gespür für unsere tiefsten Bedürfnisse und für das, was uns gut tut und wo wir letztendlich in diesem Leben hinwollen, geboren. Wir haben unser Navigationssystem sozusagen von Anfang an fest eingebaut. Im Laufe der Jahre werden jedoch viele von uns durch Erziehung und Umwelt nach und nach von diesem natürlichen Erspüren ihrer Wünsche sowie vom instinktiv richtigen Handeln und Entscheiden getrennt. Die Intuition wird mehr und mehr außer Acht gelassen, manchmal wird ihre Existenz sogar gänzlich geleugnet oder vergessen. Dann haben wir unser inneres Navi permanent ausgeschaltet. Und plötzlich stellt uns das Leben klugerweise vor Situationen, aus denen wir auf reiner Verstandesebene keinen Ausweg mehr wissen. Meistens ist es dann völlig ungewohnt für uns, die Geschehnisse nicht mehr steuern zu können. Am Anfang sind wir noch völlig kribbelig und ungehalten, mit der Zeit fügen wir uns immer ergebener in unser Schicksal. Wir beginnen in uns zu gehen, fangen - vielleicht sogar zum allerersten Mal – zu beten an, bitten andere um Hilfe und bekennen, nicht mehr weiter zu wissen. Und plötzlich ist unser hauseigenes Navi wieder auf Empfang gestellt. Dankbar für jeden Fingerzeig sind wir endlich wieder bereit, der inneren Stimme zu folgen und Dinge zu tun, die unser rationaler Verstand kaum erklären kann. Diese leise, unaufdringliche Stimme ist auch nicht beleidigt, weil wir sie erst nach so langer Zeit wieder zur Kenntnis nehmen. Sobald wir wirklich bereit sind einzuschalten und zuzuhören, sind alle Informationen sofort für uns da. Und die Geduld dieser höheren Führung ist, ähnlich wie im Auto, grenzenlos. Immer wieder gibt die Stimme in dem kleinen Gerät die neue Richtung an, berechnet nach jedem Ignorieren der angegebenen Fahrtstrecke eine neue Route und verliert niemals das einmal eingegebene Ziel aus dem Augen. Auch wenn wir zehnmal hintereinander falsch fahren, das System sagt nie: „Mensch, bist du denn blöd? Rechts habe ich gesagt!“ Es nimmt unsere Reaktion zur Kenntnis und korrigiert immer und immer wieder ohne je ein Aufhebens davon zu machen. Ohne überflüssige Belehrungen führt es uns unerschütterlich wieder auf die Zielgerade zurück. Wenn wir mit zwei Stunden Verspätung ankommen, weil wir uns nicht auf so einen kleinen Kasten verlassen wollten oder Lust hatten zu testen, wer wohl der Klügere ist, kommt kein: „Ätsch bätsch – selber schuld! Warum hast du nicht auf mich gehört!“ Diese Einsicht überlassen beide Navigationssysteme völlig uns selbst. So werden wir, ob nun im Auto oder im Leben, immer mehr erkennen, dass es nur unser eigener Zeitverlust oder sogar Schaden ist, wenn wir immer alles besser wissen und alleine auf der Verstandesebene schaffen wollen.

Im Auto erhält das Navigationssystem seine Informationen über unsere derzeitige Position von einem Satelliten, der viele hunderte von Kilometern entfernt im Weltraum kreist. Logisch, dass man von dort den besseren Überblick hat! Wie könnte es da verkehrt sein, auch im Leben und nicht nur bei den großen, sondern auch bei den vielen kleinen alltäglichen Dingen, um Unterstützung und Beistand von oben zu bitten? Ob sich unsere Wünsche dabei an den lieben Gott, an Allah, Buddha, unsere Schutzengel, ans Universum oder an wen auch immer richten, spielt überhaupt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass wir es Ernst mit unserer Bitte meinen und auf Empfang bleiben. Das Navi einschalten, das Ziel eingeben und dann wieder auf „Aus“ drücken kann nicht zum Erfolg führen. Die vielen kleinen Hinweise auf dem Display sowie die freundlichen Ansagen aus dem Lautsprecher bekommen wir auch im Leben verlässlich übermittelt - solange unser begrenzter Verstand nicht schon wieder beginnt, festzulegen, wie diese Hinweise und Zeichen bitteschön auszusehen haben. Je mehr wir uns mit der Gebrauchsanweisung von unserer inneren Führung vertraut machen und je häufiger wir sie einschalten, umso sicherer und klarer werden wir auch die Signale erkennen und für uns nutzen.

Wenn wir beim Autofahren nicht mehr verzweifelt auf der Karte suchen und Angst haben, kostbare Zeit zu verlieren, bieten sich uns viel mehr Gelegenheiten, die Fahrt an sich zu genießen. Wir nehmen die landschaftlichen Schönheiten unserer Umgebung wahr oder genießen ein reizvolles Stadtpanorama. Ebenso wird auch unsere Lebensreise wesentlich angenehmer, wenn wir nicht mehr anhalten und andauernd nach dem Weg fragen müssen.

(Copyright: Barbara Forster)

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Wünsch dir was

Es war nach einer langen Periode der seelischen Ausgeglichenheit mal wieder einer dieser „Keiner–liebt-mich-Tage“. In einer Woche hatte ich Geburtstag und grübelte nach, warum mich keiner fragte, was genau ich mir wünschen würde. Sicher – ich liebe Überraschungen, aber so ab und zu ist es auch schön und praktisch, die Geschenke dezent in Richtung der geheimen kleinen Träume lenken zu können. Es nützte meiner trüben Gemütsverfassung nicht das Geringste, als ich mich innerlich als oberflächliches und undankbares Wesen beschimpfte. Schließlich hatte ich doch wirklich keine vermessenen Ansprüche. Genau betrachtet ging es nur um eine Kleinigkeit. Ich wünschte mir zu meiner Lieblingskette ein Paar Malachit-Ohrringe. Es war nicht der finanzielle Aspekt, der mich davon abhielt, sie mir selbst zu kaufen. Sie kosteten kein Vermögen und noch dazu ist es gerade bei Schmuck nicht einfach, meinen recht ausgeprägten Geschmack zu treffen. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich mich jedoch daran festgebissen, diese Ohrringe geschenkt zu bekommen.

Es ist immer dasselbe. Wenn gefragt wird: „Was wünscht du dir denn zum Geburtstag? Gibt es vielleicht etwas ganz Bestimmtes, was ich für dich aussuchen kann?“ stammele ich ein verlegenes und nicht immer aufrichtiges „Du brauchst mir doch gar nichts zu schenken.“ Oder es will mir partout nichts Passendes einfallen, obwohl ich erst am Tag zuvor an zwei, drei kleine Anschaffungen gedacht hatte, die sich bestens als Geburtstagsmitbringsel eignen würden. In einem englischen Roman habe ich kürzlich eine nette Geschichte gelesen: Eine Freundesclique hatte aufgrund einiger fataler Missgriffe bei der Geschenkauswahl eine Vereinbarung getroffen. Für einen festgelegten Betrag kaufte sich jeder sein Geschenk selbst, verpackt es festlich und reicht das Päckchen anschließend zur offiziellen Übergabe an seine Freunde weiter. Natürlich war es ein ungeschriebenes Gesetz, beim Auspacken Entzückensschreie auszustoßen und vor Überraschung völlig gerührt zu sein. Na ja, so ganz entspricht das nicht meinen Vorstellungen. Geschenke, egal zu welchen Anlässen, sind für mich liebevolle Aufmerksamkeiten, die mir signalisieren, dass jemand Zeit damit verbracht hat, etwas auszusuchen oder zu gestalten, was mir Freude bereitet und gut zu mir passt. Ebenso lege auch ich diese Maßstäbe an, wenn ich kleine oder große Präsente für andere heraussuche.

Aber nun zurück zu meinen Malachit-Ohrringen. Es kam natürlich nicht in Frage, meinen Sonderwunsch jemanden so ganz ohne persönliche Aufforderung mitzuteilen. Eine Woche vor dem Geburtstag war dafür sowieso zu knapp. Und schließlich legte ich doch sonst immer so viel Wert darauf, überrascht zu werden. Was war diesmal nur los mit mir? Ich begann mich über meine eigene Verbohrtheit zu ärgern, schickte ein kleines Stoßgebet zum Universum und wendete mich leicht beschämt von diesem bedeutsamen Problem ab. Trotzdem wollte sich keine bessere Stimmung einstellen. Ich machte mich auf den Weg zu einer geschäftlichen Verabredung mit meinem Kollegen Gerhard und hoffte, durch unser Gespräch dieses dumpfe Gefühl von Bedeutungslosigkeit zu verlieren. Aber meine Haut blieb weiterhin dünn und superempfindlich reagierte ich auf jede Äußerung meines Kollegen. Da wir uns gut genug kennen, um solche Dinge offen einzugestehen, erzählte ich ehrlich, wie miserabel ich mich fühlte und dass es mir besonders zu schaffen machte, dafür nicht mal einen plausiblen Grund zu haben. Meine Ohrring-Geschichte erwähnte ich mit keinem Wort, das war mir dann doch zu peinlich.

Verständnisvoll machte Gerhard den Vorschlag, unsere geschäftliche Besprechung zu vertagen und wechselte zum privaten Austausch. „Jetzt erzähle ich dir noch etwas Schönes zur Aufmunterung. Die Kollegen und ich haben eine besondere Idee für dein Geburtstagsgeschenk. Wir wollen, dass du diesmal etwas bekommst, was dir rundherum gefällt.“ Hoppla, hatte ich im letzten Jahr zu wenig Begeisterung für den Cappuccino-Aufschäumer gezeigt? „Vor allem Dietmar meint, du sollst etwas bekommen, was dir so richtig gut tut.“ Jetzt wurde es ja wirklich spannend. „Er hatte den Einfall, dir einen Gutschein für einen Edelsteinladen zu schenken. Da kannst du dir dann Steine oder Schmuck ganz nach deinem persönlichen Geschmack aussuchen.“ Ich konnte es nicht fassen - hier waren sie, meine heiß ersehnten Malachit-Ohringe! Vor Rührung bekam ich feuchte Augen. Ich stellte mir lebhaft vor, wie sich meine Schutzengel eins gegrinst und sich spontan entschlossen hatten, mir eine kleine Lektion zum Thema „Wer interessiert sich schon für meine Wünsche?“ zu erteilen. Von einem Moment zum anderen war meine trübsinnige Stimmung wie weggeblasen. Dieses Erlebnis rufe ich mir jetzt immer ins Gedächtnis zurück, wenn ich mal wieder in meine alten Fallen tappe und mich klein, unbedeutend und machtlos fühle.

(Copyright: Barbara Forster)

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